Über das Schreiben von Krimis, und warum Alexander Gerlach in Heidelberg ermittelt

 

Krimis zu schreiben, sagte meine sehr geschätzte Kollegin Maeve Carels einmal, ist die Kunst, die immer gleiche Geschichte immer wieder anders zu erzählen. Und wenn ich so darüber nachdenke, ist da etwas dran. Jeder Kriminalroman, der etwas auf sich hält, beschäftigt sich schließlich mit der Frage, aus welchen Gründen Menschen schlimme Dinge tun und wie verzweifelt und am Ende aussichtslos der Versuch ist, sie daran zu hindern. Diese bittere Erkenntnis kollidiert nun leider heftig mit meinem angeboren Optimismus.

 

Als Krimiautor bin ich nämlich mit drei schweren, ja geradezu Karriere schädigenden Handycaps gestraft:

 

Erstens glaube ich nicht, dass alles immer schlimmer wird. Merkwürdigerweise sind ja die meisten Menschen davon überzeugt, dass die Kriminalität in unserem Lande unentwegt zunimmt, während die Statistik (von bestimmten "Mode"-Delikten abgesehen) seit vielen, vielen Jahren hartnäckig das Gegenteil beweist. Unsere Gesellschaft ist eben nicht im Begriff, in einem Abgrund von Unmoral und Mord und Totschlag zu versinken, wie uns manche meiner Kolleginnen und Kollegen gerne weis machen möchten (und was viele Leser offenbar - vielleicht aus einer gewissen wohligen Freude an Untergangsvisionen - wieder und wieder bestätigt haben wollen).

 

Zum Zweiten, und das ist für einen Krimiautor vielleicht ein noch schwereres Manko, glaube ich nicht, dass es böse Menschen gibt. Meine Täter sind Pechvögel, ob bereits von Geburt an oder im Laufe eines unglücklichen Lebens erst geworden, sei dahingestellt. Diese Grundhaltung nimmt einem sehr viel Gestaltungsfreiraum beim Schreiben eines Kriminalromans. Wie schön und einfach ist es doch, einen durch und durch verdorbenen, gruselig perversen Massenmörder durch die verregneten Nächte einer selbstverständlich immer hoffnungslos vermüllten Großstadt zu jagen. Am Ende ist er zur Strecke gebracht, endlich geht die Sonne auf, und die Welt ist wieder in Ordnung. Ist sie eben nicht.

 

Denn das ist mein drittes Problem: Wenn ein Verbrechen aufgeklärt und der Täter gefasst ist, ist nichts in Ordnung. Das Verbrechen ist nicht ungeschehen gemacht, Opfer oder Hinterbliebene leiden noch immer unter seiner Tat, und auch der Täter selbst wird natürlich nicht froh durch den Ausgang der Geschichte. Das Einzige, was erreicht wurde, ist, dass er vorläufig vermutlich keine weiteren Verbrechen begehen wird, und dass Opfer und Gesellschaft eine gewissen Genugtuung erfahren. Und wenn es gut läuft - und das gelingt selbst bei Triebtätern viel öfter als man denkt! - wird der Täter, der "Böse", auf die rechte Bahn zurückgebracht, in ein Leben ohne Kriminalität.

 

Wie soll man nun auf dieser Basis Kriminalromane schreiben?

 

Nach langem Nachdenken wurde mir klar, es kann nur so gehen: Die dreckige Metropole wird durch eine überschaubare Stadt ersetzt, in der das Leben zumindest scheinbar noch in Ordnung ist. Heidelberg kenne ich, seit ich kurz vor dem Abitur zum ersten Mal per Anhalter dort war. Später habe ich es oft besucht, immer wieder genossen, und bald lieben gelernt. Eine kleine Großstadt mit so unendlich vielen Facetten, so voller Schönheit und Brüche, Romantik und an manchen Stellen, die Heidelberger mögen mir verzeihen, eben doch Dreck und Müll und den Problemen, die jede Stadt dieser Größe nun einmal hat. Schon nach den ersten hundert Seiten des "Heidelberger Requiems" war offensichtlich, dass diese Stadt als Handlungsort für einen Kriminalroman nach meinem Geschmack geradezu eine Idealbesetzung ist.

 

Kriminalrat Alexander Gerlach, mein Protagonist, ist kein verlorener Trinker, kein am Leben und seinem Job Verzweifelter, kein von Chef und Kollegen gemobbter einsamer Wolf, sondern ein Mensch wie Sie und ich. Er hat seine Probleme, er hat auch seine Stärken. Er hat seine Sorgen und Nöte und auch seine Erfolge und schönen Momente. Manchmal mogelt er sich durch wie wir alle, hin und wieder ist er sogar richtig gut. Oft wächst ihm alles über den Kopf, aber irgendwie klappt es dann am Ende doch. Er hat - natürlich nicht ganz ohne Absicht - eine Menge mit mir gemein. Wie ich, ist auch er Vater von Töchtern und durchlebt alle damit verbundenen Freuden und Leiden. Auch seine berufliche Situation ähnelt meiner (früheren) stark. Als Leiter eines relativ großen Forschungslabors sitze ich im steten Spannungsfeld zwischen einem Chef, der Erfolge erwartet, Untergebenen, die sie nicht immer liefern, und Umständen, die sie nur zu oft fast unmöglich machen. Gerlach zerreißt sich als Kripochef zwischen der Verwaltungsbürokratie, deren Teil er nun mal ist, der Ermittlungsarbeit auf der Straße, von der er nicht lassen kann, und seinem bewegten und oft kräftezehrenden Privatleben.

 

Und auch mein Gerlach glaubt natürlich nicht an das Böse im Menschen, obwohl er das in Gesprächen manchmal anders darstellt. Tief drinnen trägt er nämlich dieselben Überzeugungen, denselben Optimismus wie sein Schöpfer. Dennoch möchte ich nicht in seiner Haut stecken, und vermutlich möchten das auch nicht viele meiner Leser. Ständig muss man Angst um ihn haben, manchmal will man ihn an den Ohren packen und ausschimpfen, hin und wieder möchte man ihn in den Arm nehmen und trösten. Aber am Ende freue ich mich regelmäßig mit Gerlach, wenn es wider alle Erwartung noch einmal gut gegangen ist. Auch wenn es ihm wieder nicht gelang, das Böse aus der Welt, oder wenigstens Ordnung auf seinem Schreibtisch zu schaffen.